Interview
Standpunkt

Langfristig, sozial, nutzerorientiert

Interview: Benjamin Pfeifer

Stefan Forster und Ute Streit sprechen am Beispiel der Quartiersentwicklung Hagener Straße über Architektur als kollektiven Prozess und das Bauen für Genossenschaften.

Stefan Forster und Ute Streit im Büro in Frankfurt am Main

Die Hagener Straße ist nach dem Klinkebogen euer zweites Projekt für die WOGEDO. Welche Entwurfshaltung hat euch dabei geleitet, gerade auch mit Blick auf den genossenschaftlichen Wohnungsbau?

Stefan Forster Qualitätsvolle Architektur gibt es nicht jenseits gesellschaftlicher Funktionen. Eine Genossenschaft ist insofern ein dankbarer Auftraggeber, weil sie auf langfristiges Denken setzt: Sie hält die Gebäude dauerhaft im Bestand und baut prinzipiell für die Ewigkeit. Der zweite Aspekt ist der kollektive Gedanke – die Identität von Mietern und Eigentümern. Diese beiden Faktoren verändern die Perspektive auf die Produktion von Wohnraum grundlegend.

Während konventionelle Investoren oft möglichst billig bauen, um kurzfristige Gewinne zu erzielen, geht es beim genossenschaftlichen Bauen um selbstbestimmtes Wohnen und stabile Nachbarschaften. Der Fokus liegt auf Wohnqualität, Langlebigkeit und Nachhaltigkeit. Das entspricht auch unserer Haltung: Architektur ist für uns kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um das soziale Miteinander zu gestalten. Unsere Gebäude sind kein Beitrag zu einem rein theoretischen Diskurs, sondern sollen sich im Alltag bewähren.

Wie zeigt sich dieser andere Fokus in eurer Arbeit für Genossenschaften?

Ute Streit Zunächst einmal muss man sich die Rahmenbedingungen vergegenwärtigen: Eine Genossenschaft baut im Prinzip für sich selbst, für die eigenen Mitglieder – und ist damit sehr nah an den Nutzerinnen und Nutzern dran. Wir planen jede Wohnung mit dem Gedanken, dass dort jemand wirklich sein Leben verbringen möchte. Das erfordert, die Interessen der Mieterinnen und Mieter frühzeitig im Entwurf und in der Planung zu berücksichtigen. Diese Philosophie haben wir beim Projekt Hagener Straße in ein hochwertiges Wohnumfeld und großzügige, flexibel nutzbare Wohnungszuschnitte übersetzt.

Gute Architektur kann nur gelingen, wenn Bauherr und Architekt gemeinsam um den besten Weg ringen.

SF Ich sehe es als besondere Qualität des genossenschaftlichen Bauens, dass solche Aspekte vom Auftraggeber auch wirklich eingefordert werden. Das unterscheidet Genossenschaften auch vom kommunalen oder staatlichen Wohnungsbau, der sich stärker an fixen Förderquoten orientiert und etwas anonymer bleibt. Unsere Erfahrung ist, dass soziale Faktoren hier von Anfang an die Planung bestimmen. So haben wir zum Beispiel den Schwarzwaldblock für den Spar- und Bauverein Mannheim in mehreren Phasen ersetzt, damit die Mieter direkt in die Neubauten umziehen konnten. Bei der Hagener Straße konnte die WOGEDO sämtlichen Bestandsmietern eine Ersatzwohnung anbieten – für mich zeigt sich darin sehr klar, worum es im genossenschaftlichen Bauen geht.

Wie habt ihr diesen Anspruch konkret im Quartier Hagener Straße umgesetzt?

SF Eigentlich zieht er sich durch sämtliche Bereiche und Ebenen. Die Außenanlagen sind beispielsweise bewusst so gestaltet, dass sie für alle zugänglich und auch tatsächlich nutzbar sind. Es ist bewusst durchlässig geplant, mit parkähnlichen Qualitäten. Wir finden dort große Spielplätze, die von den Kindern auch wirklich angenommen werden, und gemeinschaftliche Einrichtungen wie das Teehaus. Die gesamte Anlage öffnet sich gegenüber dem Quartier und schottet sich nicht ab. Das Ziel war eine hohe Aufenthaltsqualität als halböffentlicher Raum. Das mag banal erscheinen, aber wir wissen ja, wie das in vielen Neubauvierteln aussieht: Abstandsflächen, umlaufende Zäune, einzelne Spielgeräte, die niemals ein Kind benutzt, die lediglich bürokratisch nachgewiesen werden.

Fassade des Wohnhauses Hagener Straße 44, Düsseldorf, 2024

US Man sieht das auch an Details in der Ausstattung: Ein Beispiel sind die Badezimmer mit großen, barrierefreien Duschen und massiv gemauerten Trennwänden. Oder die Wandnischen, in denen Waschmaschine und Trockner übereinandergestellt werden können. Das geht über den üblichen Neubaustandard hinaus – dort reicht es oft, einfach einen Anschluss zu legen. Dabei wird aber nicht bedacht, dass die Geräte dann frei im Raum stehen und den Raumeindruck stören. Auch die Garderoben im Eingangsbereich haben wir in Wandnischen eingebaut. Konventionell betrachtet verliert man mit solchen Nischen vermarktbare Fläche und hat einen höheren Aufwand. Aus der Sicht der Bewohner ermöglichen sie eine klare Zonierung, ein aufgeräumtes Erscheinungsbild und eine bessere Flächeneffizienz. Solche Details machen im Alltag oft den größten Unterschied.

Was ist euch bei der Zusammenarbeit an einem Projekt wie der Hagener Straße besonders wichtig?

SF Uns war von Anfang an wichtig, dass alle Beteiligten einen eigenen Anteil an der Qualität des Projekts haben – und dass sie das auch so erleben. Ein Bauvorhaben ist ein kollektiver, offener Diskussionsprozess. Dafür braucht es einen Bauherrn, der diese Haltung teilt. Mit der WOGEDO hatten wir einen Partner, der langfristig denkt und eine gewisse humanistische Grundhaltung mitbringt. Diese Haltung zeigt sich einerseits inhaltlich, also mit Blick auf den gesellschaftlichen Zweck des Projekts, andererseits aber auch im Umgang mit den Planerinnen und Planern. Es gibt ja diesen Spruch, dass das Leben des Architekten in der lebenslangen Suche nach dem richtigen Bauherrn besteht. So hoch will ich es gar nicht hängen – aber entscheidend ist, dass wir uns nicht als die klassischen Dienstleister verstehen, die Vorgaben einfach nur abarbeiten. Gute Architektur kann nur gelingen, wenn Bauherr und Architekt auf Augenhöhe gemeinsam um den besten Weg und die bestmögliche Qualität ringen.

Das Bauen für Genossenschaften und Wohnungsbaugesellschaften begleitet Stefan Forster und sein Büro seit den Anfängen. Links: Der Klinkebogen in der Unterrather Straße war 2017 das erste für die WOGEDO realisierte Projekt. Rechts: Der Schwarzwaldblock in Mannheim wurde von 2007 bis 2016 in vier Bauphasen für den Spar- und Bauverein 1895 eG errichtet.

Inwiefern hat diese Form von Zusammenarbeit auch den Bauprozesses bestimmt?

US Bei der Hagener Straße hat man wirklich gemerkt, dass dieser Teamgedanke von allen mitgetragen wurde. Die Besprechungen waren immer lösungsorientiert – es ging nie darum, Schuldige zu suchen, sondern gemeinsam Probleme zu lösen. Das hat sich bis auf die Baustelle übertragen: Die Handwerker haben Vorschläge eingebracht, waren flexibel, wenn sich Abläufe geändert haben, und hatten auch ihren Stolz daran, etwas Besonderes zu bauen. Man konnte spüren, dass es den Leuten auch Spaß gemacht hat. Und das motiviert natürlich auch uns im Team. Ein schönes Detail: Unser Bauleiter hat eingeführt, dass bei jedem Termin eine andere Firma Brötchen mitbringt – klingt banal, schafft aber eine Atmosphäre, in der sich alle eingebunden fühlen.

SF Man kann sich das vorstellen wie ein gutes Orchester: Jeder spielt sein Instrument – aber die Qualität entsteht erst durch das Zusammenspiel. Anders gesagt: Architektur ist das Ergebnis von Diskussionsprozessen. Das, was dabei herauskommt, ist das Gesamtwerk aller Beteiligten. Das Ergebnis dieser Haltung spürt man später am Gebäude: Wenn alle mitdenken, mitentwickeln und stolz auf das Ergebnis sind, wird auch die handwerkliche Qualität besser.

Die interne Teamstruktur bezeichnet ihr oft als „horizontal“. Was meint ihr damit?

US Ganz allgemein heißt das, dass wir in flachen Hierarchien arbeiten. Natürlich gibt es Teams mit einer Projektleitung, aber ihre Rolle ist vor allem kommunikativ und koordinierend. Jeder im Team hat sein eigenes Themengebiet, in dem er oder sie selbstständig entscheiden kann. Gleichzeitig stimmen wir uns intensiv ab, diskutieren viel und treffen die wichtigen Entscheidungen gemeinsam. Es gibt also keinen klassischen Chef, der einfach Anweisungen gibt.

Ich glaube, diese Struktur spiegelt ganz gut wider, wie wir uns Zusammenarbeit generell vorstellen: als offenen Prozess, bei dem sich alle mit ihren Ideen einbringen – und sich wirklich mit dem Projekt identifizieren können.

Luftaufnahme des neuen Quartiers an der Hagener Straße, Blick aus Südwesten

Wie sieht deine Rolle als Büroinhaber in so einem Projekt aus?

SF Ich bin vor allem stark in den Wettbewerb und in die Präsentation unserer Projekte involviert. Danach, wenn das Projektteam übernimmt, ziehe ich mich bewusst zurück – nicht, um mich rauszuhalten, sondern weil ich davon überzeugt bin, dass gute Arbeit nur entsteht, wenn das Team eine echte Verantwortung trägt. Es gibt ja dieses Bild vom Architekten, der über die Baustelle rennt und alles kontrolliert. Ich halte das für überholt. Wir wollen, dass unsere Projektteams selbstständig entscheiden und hinter ihrem Projekt stehen können. Wenn ich da später ständig auftauche und Anweisungen gebe, untergräbt das ihre Rolle nur.

Mit vielen Bauherren verbindet euch eine langjährige Zusammenarbeit. Die Hagener Straße war euer zweites Projekt für die WOGEDO. Welche Lerneffekte entstehen daraus?

SF Beim Start eines neuen Projekts sitzen schnell mal 20 Leute zusammen, die erst einmal um Kompetenzen und Abläufe ringen müssen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass die ersten acht Wochen durch Reibungsverluste gebunden werden. Wenn man aber schon einmal miteinander gearbeitet hat, entfällt diese Phase – man kommt direkt ins normale Arbeiten. Abgesehen davon besteht im Idealfall schon ein Vertrauensverhältnis, und man kann die verschiedenen Projektbeteiligten einfach besser einschätzen.

US Man kann schon sagen, dass es in vielerlei Hinsicht effizienter und ökonomischer ist. Die Kontakte und das Vertrauensverhältnis sind ja schon da – das bietet viele Vorteile. Wir bauen da auf vielen guten Erfahrungen auf.

Das Gespräch führte Benjamin Pfeifer.